Präzisionsarbeit von Weltruf

(gekürzt aus Coopzeitung Nr. 43, 20. Oktober 2004 )

Schweizer Landeskarten gehören seit 140 Jahren zu den besten der Welt. Das «Geheimnis»: Präzision! Das beginnt schon bei den Flugaufnahmen.
Franz Bamert

Der Leiter des Flugdienstes des Bundesamts für Landestopografie «swisstopo», Rolf Hübscher, kontrolliert vor dem Start das Kamerasystem.

Rolf Hübscher verfolgt den auf der Karte vorgegebenen Flugweg. Das Kamerasystem gleicht die Turbulenzen automatisch aus.

Die Luft ist klar, die Sicht reicht bis fast hinunter nach Marseille und über den Schweizer Alpen wölbt sich ein schier endlos blauer Himmel. Doch der Pilot Urs Graf hat für all das keine Augen. Präzis zieht er mit der Beechcraft Super King Air 350C seine Linien zwischen Genf und Payerne. «Heute ist optimales Arbeitswetter», hatte Rolf Hübscher vor dem Start in Dübendorf mit einem Blick nach oben gesagt. «Wenn es Wolken oder Dunst hat, müssen wir gar nicht erst fliegen.» Hübscher ist Leiter des Flugdienstes des Bundesamtes für Landestopografie swisstopo. Über das Navigationsfernrohr gebeugt, überwacht er den Flugweg und das reibungslose Funktionieren des Leica-Luftbild-Kamera-Systems RC30. «Sowohl das Navigations- als auch das Kamerasystem werden vor dem Flug mit den entsprechenden Daten programmiert. Jetzt fliegen wir mit etwa 440 Stundenkilometern und die Kamera schiesst GPS-gesteuert alle 2,7 Kilometer ein Bild, welches 49 Quadratkilometer abdeckt.» Dass Hübscher gerade den Sektor Westschweiz 2 mit 23 mal 23 Zentimetern grossen Bildern ablichtet, geschieht nicht aus Lust und Laune. «Die Landeskarten werden alle sechs Jahre auf den neues-ten Stand gebracht. Jetzt ist - grob gesagt - die Region zwischen Genf und Payerne dran.» Plötzlich geht ein Ruck durch die Super King. Hübscher schaut nur kurz auf und meint, dass es auch bei schönstem Wetter mal zu Turbulenzen kommen kann. «Auf die Bildqualität hat das aber keinen Einfluss. Wir sind technisch so gut ausgerüstet, dass auch Drift und Unschärfen automatisch korrigiert werden.»

Es ist zwar erst 16 Uhr, doch die Sonne hat sich gen Westen hin davongemacht und Hübscher bricht die Übung ab. «Wir können nur bei einer Sonnenhöhe von min- destens 40 Grad fotografieren, sonst wird der Schattenwurf zu stark.»

Die Luftaufnahme von Genf wurde dieses Jahr gemacht und dient als Basis ...

...um die bestehende Landeskarte (1:25000, oben) auf den neusten Stand zu bringen.

Sind die Filme entwickelt, kommen die Dias mit einem Bildmassstab von etwa 1:30000 im swisstopo-Hauptsitz in Wabern (BE) zu Photogrammeter Armin Hanselmann. Auf stereoskopischen Projektionsgeräten vergleichen er und seine Kollegen die neuen Flugaufnahmen mit dem Kartenbild der aktuellen Karte und tragen die Veränderungen ein: Punkt für Punkt, Gebäude für Gebäude, Strasse für Strasse, Millimeter für Millimeter. «Es gibt wohl niemanden, der einen dermassen umfassenden Blick über die Entwicklung der Schweiz hat wie wir», sagt Hanselmann. Er hat gesehen, wie in der Hochkonjunktur der Bauboom die Landschaft zerfrass und jetzt erschrickt Hanselmann ob der Schnelligkeit, mit der die Gletscher verschwinden. Beim Vergleichen gibts immer wieder Unsicherheiten, so Hanselmann. «Ists ein Tierwechsel oder ein Wanderweg? Ist der neue Schopf in Oberlunkho-fen nur ein Provisorium oder etwas Festes?» Um diese Unsicherheiten zu beseitigen, sind während der Sommermonate 16 Topografen in der Schweiz unterwegs. «Jeder Waldweg muss abgelaufen und jede Strasse klassiert werden», berichtet deren Chef Alfred Gut. Die Landschaftsbeobachter sind seit neuestem mit einem GPS-Gerät unterwegs und geben Veränderungen gleich vor Ort ein.
Sind alle Rohdaten über den geografischen Zustand der Schweiz beisammen, landen sie bei den «Künstlern». So werden die Kartografen genannt, welche ihre Lehre bei swisstopo machen und die Berufsschule für Gestaltung besuchen. Einer dieser Kartografen ist Stefan Wullschleger und wenn man ihm bei der Arbeit zuschaut, versteht man den guten Ruf der Landeskarten. Präzise und geduldig zeichnet er Strassen und Wege ein, zieht daneben eine Kantonsgrenze nach, auch der Bach muss Platz haben und die Häuser sowieso. Dann fehlt auch noch der Flurname - und vor allem darf das Ganze am Schluss nicht wie ein unentwirrbares Strickmuster aussehen. «Auf einer 1:25000er muss jedes kleine Haus erkennbar sein», so Wullschleger. «Auf einer 1:100000er aber sind nur noch 40 Prozent des ursprünglichen Inhalts sichtbar.»
Höchste Präzision ist nochmals auch in der Druckerei gefragt: Die 1:100000er-Karte etwa hat zehn Farben und muss drei Mal durch die Druckmaschine: «Werden die Bögen auch nur mit 1/10 Millimeter Verschiebung eingeführt, produzieren wir keine Karten, sondern Altpapier», erklärt Kurt Rhyn, stellvertretender Druckereichef. «Aber das gibts gottlob selten.»
«swisstopo» gehört zum VBS und arbeitet mit der Armee zusammen.
Identität mit Karten
Erich Gubler zur Grösse der Schweiz und Qualität von Schweizer Landeskarten.
Coopzeitung: Weshalb gelten Schweizer Karten weltweit als die besten?
Erich Gubler: Das Qualitätsdenken hat bei uns Tradition. Mein erster Vorgänger, Guillaume-Henri Dufour, war zugleich Chef der Armee und hat jedes Kartenblatt kontrolliert, bevor es in Druck ging.
Hat das Kartenwesen also einen militärischen Hintergrund?
Nicht nur. Nach dem Sonderbundskrieg und der Gründung des modernen Bundesstaats sollten die Dufour-Karten dazu beitragen, die Schweizer Identität zu stärken. Die Karten sollten eine Übersicht über die moderne Schweiz geben.
Sind Karten immer noch das Hauptgeschäft von swisstopo?
Landeskarten gehören zu unseren Kernaufgaben. Doch mit unseren Daten werden heute die unterschiedlichsten Produkte produziert: Das geht vom Routenplaner über das Quellenkataster bis zur exakten Bestimmung von Bauzonen. Auch über Fluglärm lässt sich nur streiten, wenn man weiss, wo wie viele Menschen wohnen.
Erleben Sie bei Ihrer Arbeit Überraschungen?
Immer wieder. Wir konnten beispielsweise nachweisen, dass durch den Bau des Gotthard-Strassentunnels Senkungen entlang des Trassees entstanden. Beim Bau der Neat-Tunnels wird nun auf eventuelle Senkungen geachtet. Die Stauseen im Bereich Lukmanier etwa werden genau überwacht. Als wir publizierten, dass die Schweiz einen halben Quadratkilometer grösser ist als gedacht, wollte ein Mitarbeiter des deutschen Südwestfunks sofort wissen, ob der halbe Quadratkilometer von deutschem Gebiet stamme ...

Franz Bamert

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Einmalige Schätze
Bei «swisstopo» wird auch die kartografische Vergangenheit gepflegt. Sie reicht bis ins 16. Jahrhundert zurück!
Die grössten Kostbarkeiten von swissto-po liegen im Archiv. In dieser klimatisierten Hightech-Schatzkammer werden 200000 Karten aufbewahrt, die katalogisiert und konserviert werden. «Einige dieser Werke stammen aus dem 16. Jahrhundert und sind von unschätzbarem Wert», sagt Restauratorin und Konservatorin Myriam Weber. «Die Werke - oft einmalige Exemplare - haben im Verlauf der Jahrhunderte an allem Möglichen gelitten», sagt die junge Frau. «Unsachgemässe Behandlung und entsprechende Reparaturen sowie der Alterungsprozess haben dem Material zugesetzt.» Mit einem Latex-schwamm entfernt Myriam Weber den Staub von den Rändern einer Dufourkarte. An einem anderen Werk setzt sie das Skalpell an, um Klebstreifen abzulösen, welche vorher mit Lösungsmitteldämpfen behandelt wurden. «Solche Klebstreifen sind absolut ungeeignet, um Risse in wertvollen Karten zu schliessen - der Klebstoff dringt ins Papier ein und vergilbt durch die Alterung. Das beeinträchtigt nicht nur das optische Erscheinungsbild, sondern schädigt auch die Zellulose.» Weber restauriert Risse mit langfaserigem Japanpapier, Weizenstärkekleister - und unendlicher Sorgfalt. «So präpariert, sollten diese Kostbarkeiten die nächsten paar Jahrhunderte schadlos überstehen», hofft Weber. Auch die rund 500000 in der Fotothek gelagerten Bilder sind wie ein Spiegel der Entwicklung der Schweizer Landschaft. Terrestrische Aufnahmen wurden von 1924 bis 1940 gemacht. Seit 1927 werden Luftbilder aufgenommen. ba
Schweizer Pinonier
Dufour war Begründer des Weltrufs
Bereits die Sumerer haben Karten gezeichnet. Deshalb ist die Geodäsie - die Lehre von der Ausmessung der Erde - eine der ältesten Wissenschaften. Der berühmteste Kartenmacher der Schweiz war Guillaume Henri Dufour, der zwischen 1845 und 1864 die 25 Blätter der ersten genauen, amtlichen Karte der Schweiz im Massstab 1:100 000 schuf. Der General und seine Mitarbeiter hatten mit Theodoliten ein Triangulationsnetz von Gipfel zu Gipfel gemessen. Von diesen Fixpunkten aus nahmen die Topografen mit dem Instrument «Messtisch» die Landschaft mit allen Details auf. Mit ihrer Arbeit begründeten sie den Weltruf der Schweizer Kartografie. Bis vor 50 Jahren wurden die Druckvorlagen in Kupfer gestochen, dann auf Glasplatten graviert. Seit drei Jahren werden sämtliche Karten am Computer gezeichnet und nachgeführt.